top of page

Warum es gar nicht ums Burnout geht

Dayana Gmünder

Aktualisiert: 27. Okt. 2022

Burnout, Erschöpfungsdepression, ausgebrannt… Überall hören wir diese Begriffe mittlerweile. Auch das SRF hat vor kurzem einen Dok zur «Burnout-Gesellschaft» online gestellt. Die Generation unserer Grosseltern meint stolz, dass es das bei ihnen noch nicht gegeben habe und dass wir einfach verwöhnt und verweichlicht sind. Ist da was dran? War ihre Resilienz tatsächlich höher? Oder geht es in der Tiefe um viel mehr?


Um dies von Beginn weg klarzustellen, ja, auch mich hat es erwischt. Während zwei Monaten war ich als Primarlehrerin krankgeschrieben. Doch bevor ich zu meiner eigenen Burnout-Erfahrung komme, möchte ich einen geschichtlichen Rückblick wagen und damit meine persönliche Sichtweise darlegen, wie es dazu kommen konnte, dass zurzeit so viele Menschen "ausbrennen".


Ein geschichtlicher Rückblick


Gehen wir also 75 Jahre zurück in die Nachkriegsjahre in Mitteleuropa. Überall traumatisierte Menschen, die versuchen, sich aus ihrer Misere zu retten. Die Schweizer Bevölkerung bleibt zwar vom Krieg verschont, aber auch hier sind Angst und Nahrungsknappheit allgegenwärtig. Der Baby- und Wirtschaftsboom setzt ein, Hauptsache, alles so schnell wie möglich vergessen. Das macht Sinn, denn das allgemeine und individuelle Elend ist zu gross zur alleinigen Bewältigung. Die Herzen müssen verschlossen bleiben. Es kommen Kinder zur Welt, bei deren Eltern die Schrecken der Kriegsjahre noch in den Beinen sitzen. Die aber verständlicherweise keine Sprache dafür finden. Bücher wie "Die deutsche Mutter und ihr Kind" von Johanna Haarer unterbinden Transparenz und Gefühlsregungen zusätzlich. Stattdessen schauen sie nach vorne, kümmern sich ums reine Überleben oder um das Aufbauen eines kleinen Vermögens. Die Generation unserer Eltern hat mehrheitlich selbst Eltern, die aufgrund des grossen Schmerzes von sich selbst abgeschnitten sind, und nur deshalb so viel leisten können. Ihre Resilienz, sprich ihre Belastbarkeit, ist vermeintlich riesig, doch heute sind viele dieser ehemaligen Kriegskinder dement, da sie ihrer Lebzeit vergessen wollten. Unsere Grosseltern sind also nicht im Selbstkontakt, sodass unsere Eltern zwar vielleicht materielle und physische, aber keine emotionale Sicherheit erleben. Traumatisierte Mütter, egal ob durch Entwicklungs- oder Schocktrauma, erkennen die Bedürfnisse ihrer Kinder schlechter und können darum nicht adäquat auf sie eingehen. Denn sie haben ja ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse überdeckelt. Dafür werden sie von den Bedürfnissen ihrer Kinder durch sogenannte Körpererinnerungen oft an die impliziten Erinnerungen aus ihrer eigenen Kindheit erinnert und sind überwältigt, sodass sie mit Wut und Kälte und im Allgemeinen nicht voraussehbar reagieren.


Die Generation der Hippie-Kinder will nun aber Veränderung, Farbe, Frieden, Liebe, indem sie alles um 180° wenden. Sie sind auf dem richtigen Weg, sind sich aber ihres vererbten Traumas wenig bis gar nicht bewusst. Das reine Gegenteil erreichen zu wollen ist keine nachhaltige Lösung. Schlussendlich wollen auch sie unbewusst alles verdrängen, aber auf eine Weise, die schon viel mehr das Herz mit einbezieht.


Boom, boom, bang!


Und nun, im 21. Jahrhundert, «boomen» Burnouts. Meiner Meinung nach sind wir tatsächlich verweichlicht, aber in einem guten Sinne. Wir haben unsere Herzen seit der Generation unserer Grosseltern immer mehr geöffnet, sind selten im materiellen Elend aufgewachsen und ausserdem für die Kriegsgeschehnisse, zumindest in der Schule, sensibilisiert worden. Trotzdem haben wir immer noch den Glauben in uns, dass wir hart arbeiten müssen, um gut zu sein, um wohlhabend zu sein, und und und… Doch das geht nicht auf. Wir können nicht mehr so gut fleissig arbeiten mit diesem durchlässigeren Herzen. Wenn wir mehr mit uns und unserem Körper verbunden sind, sind wir sensibler. Unser Körper reagiert viel schneller auf Missstände, was ja eigentlich gut ist. Wir werden von ihm immer mehr gezwungen, gut zu uns zu schauen, darauf acht zu geben, dass wir aus unserem Innersten zufrieden sind. Diese Umstellung des Denkens kommt langsam in den Köpfen unserer Gesellschaft an. Und in diesem Sinne glaube ich aus einer spirituellen Sicht, dass unsere Burnout-Gesellschaft in der Tat ein Zeichen einer Bewusstseinserhöhung unseres Planeten ist.


Doch wie gehen wir nun mit dieser Burnout-Gesellschaft um? Ich glaube, auch aufgrund der oben skizzierten Geschichte, dass es nicht darum geht, am Begriff des Burnouts, den unterschiedlichen Symptomen und der Problematik der Arbeit festzuhalten. Selbstverständlich muss und wird sich an der Art wie wir arbeiten in den nächsten Jahren vieles verändern. Doch ich finde, wir müssen noch ein oder mehrere Stockwerke tiefer gehen. Am besten gleich in den Keller, um dort mal mit den Aufräumarbeiten zu beginnen.


Mein Burnout anno 2015


Als ich vor bald sieben Jahren «ausgebrannt» war, gelangte ich glücklicherweise an einen Therapeuten, dem das bereits klar war. Abgesehen von der ersten Sitzung sprachen wir nicht mehr wirklich über das Burnout und die damit verbundene berufliche Situation. Selbstverständlich hätte ich damals gerne öfters mein Leid geklagt und das Aussen für meine Probleme verantwortlich gemacht. Und ich hätte gerne eine Bestätigung gehört, dass ich recht und alle anderen unrecht hätten. Dass ich schlichtweg den Beruf wechseln müsste und es dann bestimmt besser wäre. Oder dass ich schlicht Strategien für den Umgang mit schwierigen Situationen bräuchte. Dass es doch eine Lösung im Aussen geben müsse. Doch er ging nicht darauf ein und heute verstehe ich weshalb.


Das Burnout war lediglich ein Symptom meines Innenlebens, quasi ein Hilfeschrei oder ein Weckruf. So wie einige eine Krankheit ereilt, einige einen Unfall haben und noch andere sich in der Beziehung trennen (etc.), hatte ich ein Burnout. Ich hatte Grippesymptome, denen Schlaflosigkeit und grosse Angst beim Gedanken an den nächsten Arbeitstag und ein starkes Gefühl der Überforderung (Ohnmacht) vorausgingen. Natürlich war meine Arbeitssituation für mich nicht einfach und die Arbeit mit Kindern schlicht mit sehr vielen möglichen Triggern verbunden. Dies alles führte dazu, dass ich irgendwann nicht mehr konnte und konstant reizüberflutet war. Andere Menschen konnte ich nicht mehr ertragen, einfachste Alltagserledigungen wurden für mich zur Herkules-Aufgabe.


Obwohl der Begriff des Burnouts schon damals, und in der Lehrerbranche sowieso, etabliert war, war er für mich mit grosser Scham verbunden. Denn, so dachte ich, wer gerät schon mit 26 Jahren in eine derartige Krise? Zudem fokussiert die Behandlung eines Burnouts in meinen Augen immer noch sehr auf der Situation im Aussen und auf die Symptome. Das Präventions-Bewusstsein ist zwar gestiegen und mithilfe von Achtsamkeitsübungen, Meditation, etc. geraten viele vermutlich gar nicht mehr so weit. Doch auch heute wird die Quelle des Leidens noch nicht im Kern angeschaut.


Vom Ursprung des Leidens


Denn der Anfang liegt meiner Erfahrung nach immer in der ersten Bindungserfahrung, welche als nicht sicher empfunden wurde. Eine sichere Mutter-Kind-Bindung bedingt, dass die Mutter mit sich selbst in Kontakt ist. Dass sie weiss, welche Muster, Prägungen und unbewussten Glaubenssätze in ihr wirken. Dass sie ihre eigenen Bedürfnisse kennt und diese ehrlich kommunizieren kann. Ist dies nicht der Fall, kann es gut sein, dass das Urvertrauen fehlt – bei ihr und ihrem Kind. Die Welt wird mehr oder weniger als gefährlich wahrgenommen, unser Nervensystem ist im Gefahren-Modus. Je nachdem, wie sich die Eltern, in erster Linie aber die Mutter, selbst wahrnehmen, können Glaubenssätze entstehen wie:


  • Ich bin nichts wert.

  • Ich muss leisten, um etwas zu sein.

  • Ich darf nicht schwach sein.

  • Ich muss parieren, ich darf mich nicht auflehnen.

  • Erst wenn ich ….. erreicht habe, bin ich genügend gut.

  • Ich komme an zweiter Stelle.

  • Ich bin meine Arbeit.

  • etc..


Kommen nun diese Glaubenssätze zusammen mit einer Arbeitssituation, die ständig unsere Trigger-Knöpfe drückt (z.B. ein:e narzisstische:r Chef:in/Mitarbeiter, extrem lange Arbeitszeiten, unfaire Arbeitsbedingungen, etc.), entsteht eine starke Fehlbelastung, mit der wir nicht umzugehen wissen, solange wir nicht die Ursache kennen. Unser Nervensystem ist in der Folge ständig dysreguliert, Selbstregulation fällt uns zunehmend schwerer. In uns brodelt insgeheim Wut, oftmals sogar Rage, die aber keinen Weg nach draussen findet. Wieder einmal werden wir nicht gesehen, werden Bedürfnisse von uns nicht befriedigt. So verbrauchen wir Unmengen an Energie, stehen wir doch gleichzeitig auf dem Brems- und auf dem Gaspedal. Und dies kann verständlicherweise schliesslich in einem Shutdown des Nervensystems, bzw. in einem Burnout enden, wo einfach nichts mehr geht.


Die Krise als Chance


Doch genau hier sehe ich die Chance. Das Burnout und die extremen Trigger-Situationen zeigen die Wurzel des Elends auf. Und zwar nicht nur für die Arbeitssituation, sondern für das gesamte Leben. Wenn wir es hier wagen, Schritt für Schritt unseren grössten Schmerz anzuschauen – nämlich ein überwältigendes Gefühl der Verlassenheit, das unter der Wut, der Angst, der Schuld und der Scham liegt - kann Heilung auf allen Ebenen geschehen. Dies ist Prozessarbeit, und die ist Millimeterarbeit. Wenn wir glauben, dass wir in kurzer Zeit alles «Schlechte» loswerden können, sind wir wieder nicht ehrlich zu uns selbst. Heilung geschieht auf allen Ebenen – wir müssen wieder heil - «whole» - ganz - werden. Und das schliesst den Körper, den Geist und die Seele mit ein.


Wir müssen also genau hinschauen, auch wenn es schmerzt. Noch genauer, als unsere Eltern, die ihr Bestes getan haben. Frieden auf der Welt fängt für mich bei jedem Einzelnen an, nämlich indem wir dafür sorgen, dass immer mehr Frieden in uns selbst herrscht, der sich nach und nach auf unsere Nächsten ausbreitet. Auch auf unsere Kinder, die dann ihrerseits schon viel weniger Ballast mittragen müssen als wir.


Dank meinem Körper, der mir schon seit jeher ziemlich früh klipp und klar gezeigt hat, wann Schluss ist und einem Therapeuten, der mir geholfen hat, immer tiefer in die Tiefen des Canyons meiner Gefühle zu steigen, konnte ich nach relativ kurzer Zeit wieder zurück zur Arbeit. Zu Kindern, die sich über meine Rückkehr freuten, und einer Stellenpartnerin, der ich wichtig war und der ich noch heute extrem dankbar bin. Meine Symptome waren damit nicht einfach verschwunden. Ich war sehr schnell erschöpft. Und auf einmal kamen da starke Schulterschmerzen und Schmerzen auf der ganzen rechten Körperseite. Heute weiss ich, dass das der Prozess ist, der nie aufhört. Der immer ein vermeintlich neues, in Wahrheit aber altes Thema an die Oberfläche spült. Dem ich aber mit immer mehr Neugier und Mitgefühl begegne. Etwas, das wir uns nicht nur zum Mantra machen sollten, wenn wir ein Burnout haben. Sondern jeden Tag und jeden Moment.

236 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


E-Mail-Adresse: info@dayanagmuender.ch

Adresse: Praxisgemeinschaft Uniquartier, Universitätstrasse 13, 8006 Zürich

  • Instagram Dayana Gmünder
  • Facebook Dayana Gmünder

Newsletter abonnieren

Vielen Dank für das Abonnement!

© 2025 Dayana Gmünder

bottom of page